Thüringer Handwerk am Limit – die Probleme des Handwerks in den Mittelpunkt der Politik stellen

Ralf Kalich

Aktuelle Stunde auf Antrag der Parlamentarischen Gruppe der FDP - Drucksache 7/6296

Aktuelle Stunde auf Antrag der Parlamentarischen Gruppe der FDP - Drucksache 7/6296

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es hätte mich stark gewundert, wenn Herr Kemmerich heute nicht an das Rednerpult gegangen wäre und über die große Unterstützung der FDP und ihr großes Verständnis für die Handwerksbetriebe geredet hätte. Wirkliches Engagement aus meiner Sicht sieht etwas anders aus, denn ich erinnere Sie mal an die jüngste Geschichte. Im Dezember 2020 hatten wir hier auf der Tagesordnung den Meisterbonus und die Meistergründungsprämie, die wir eingeführt haben. Die FDP hat sich zusammen mit der AfD-Fraktion dort enthalten und nicht zugestimmt. Wirkliches Herzblut sieht anders aus.

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Weil die Meisterprämie nicht allen Meistern zugestanden hat und Sie nicht die richtige Höhe angesetzt haben!)

 

– Herr Kemmerich, Sie können gern noch mal reden. – Mit der Einführung der Meistergründungsprämie und des Meisterbonus im Jahr 2021 ist es uns gelungen, dem Thüringer Handwerk den Rücken zu stärken. Mit dem Meisterbonus in Höhe von 1.000 Euro wollten wir für junge Menschen einen Anreiz schaffen, sich für Handwerksberufe zu begeistern und eine Weiterqualifizierung anzustreben. Die Meistergründungsprämie kann in Höhe von 5.000 Euro bei Gründung oder Übernahme eines bestehenden Betriebes im Handwerk beantragt werden. Weitere 2.500 Euro werden ausgezahlt, wenn Ausbildungs- und Arbeitsplätze innerhalb der ersten drei Jahre entstehen und angeboten werden. Wir sehen die Basisförderung der Meistergründungsprämie in dieser Höhe als einen Einstieg, der in den kommenden Jahren noch ausgebaut werden muss, und deswegen haben wir auch die Evaluierung im Jahr 2023 hineingeschrieben. Wie Sie sehen, meinen wir es sehr ernst, das Handwerk zu unterstützen, und es steht im Fokus der Koalition.

 

Uns alle und besonders den deutschen Mittelstand halten derzeit die Energiepreise und auch die Lieferengpässe in Atem. Das ist hier an dieser Stelle schon mehrmals festgestellt worden. Bezüglich der angedachten Hilfen für kleine und mittelständische Unternehmen äußert sich der Präsident der Handwerkskammer Ostthüringen Wolfgang Jacob kritisch – ich zitiere –: „In den Planungen wird auf Kreditprogramme gesetzt. Unsere Unternehmen können sich aber nicht leisten, neue Kredite aufzunehmen, zumal viele Handwerkerinnen und Handwerker noch mit Krediten aus der Coronakrise belastet sind.“ Die Bundesregierung – und dazu zählt auch die FDP, das muss man hier mal feststellen, mit ihrem Finanzminister Herrn Lindner – versagt bei der Bereitstellung von Hilfen. Zum 1. Oktober sollte die Gasumlage statt eines Gaspreisdeckels in Kraft treten. Das verschärft die Probleme der Handwerksbetriebe weiter und schafft auch keine Entlastung,

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Dafür ist Herr Habeck zuständig!)

 

sondern verschärft die Existenzangst. Das kann man in der Bundesregierung diskutieren und darauf können Sie ruhig Einfluss nehmen.

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Nein, das ist eine Frage der Zuständigkeit!)

 

Wenn man aber einen Landesparteitag macht, wo nicht einmal Bundesgrößen erscheinen, dann scheint wohl hier irgendwo anders etwas in der Kommunikation zwischen den beiden Ebenen der FDP nicht zu stimmen.

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Erzählen Sie doch nicht wider besseren Wissens Unsinn hier!)

 

Offensichtlich – und ich hoffe, dass die Bundesregierung noch nicht beratungsresistent ist, gibt es vielleicht doch noch ein Nachdenken im Interesse der Handwerksbetriebe.

Im Koalitionsvertrag haben wir festgehalten, dass für uns als Rot-2-Grün die Deckung des Fachkräftebedarfs höchste Priorität hat. Deshalb müssen wir den Blick vor allem auf den Nachwuchs im Handwerk lenken. Von 30.000 Handwerksbetrieben sind 13.000 bei der Handwerkskammer als Ausbildungsbetriebe gemeldet, aber nur 3.300 Betriebe bilden tatsächlich aus. Im Freistaat absolvieren derzeit 6.226 Lehrlinge eine Ausbildung. Problematisch ist zum Teil die niedrige Ausbildungsvergütung. Viele Auszubildende haben es schwer, mit ihrem Einkommen über die Runde zu kommen, vor allem, wenn sie aus einkommensschwachen Familien stammen. Ganz unten stehen Auszubildende im Friseurhandwerk und bei der Floristik mit 585 Euro sowie Lehrlinge im Backhandwerk mit 680 Euro. Das zeigt, das in Branchen ohne Tarifvertrag die Lage extrem schwierig ist, weshalb wir versuchen müssen, die Tarifbindung allgemein weitervoranzutreiben und mit Faktoren stärker die Auszubildenden mit Studierenden gleichzustellen. Das Azubi-Ticket wurde von Rot-Rot-Grün eingeführt und muss langfristig etabliert werden. Nicht nur die Mobilität zwischen Wohnort und Arbeitsplatz muss gefördert werden, sondern alle Azubis sollen den ÖPNV flächendeckend in ihrer Freizeit weiterhin nutzen können. Deshalb dürfen Politik und Unternehmen junge Menschen nicht im Regen stehen lassen. Es gilt Anreize zu schaffen, um junge Menschen für einen Beruf besonders im Handwerk zu begeistern.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unterm Strich bleibt festzustellen, dass diese Aktuelle Stunde ein untauglicher Versuch ist, sich kurz vor dem parlamentarischen Abend des Handwerks mit Pseudoaktivitäten zu schmücken, von denen kein einziger Handwerker im Land etwas hat. Das sage ich Ihnen hier als Selbstständiger, der 32 Jahre ein Familienunternehmen führt. Danke.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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