Gesetz zur Änderung des Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetzes und anderer Vorschriften des öffentlichen Rechts 2/2

RedenRalf KalichInneres

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 5/6875

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 5/6875

 

Danke, Herr Präsident. Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verhält es sich debattentechnisch ein Stück weit wie mit dem Gesetzentwurf zu den Justizkosten. Die vorgeschlagenen Änderungen werden vor allem deshalb aktuell, weil der Bundesgesetzgeber aktiv geworden ist, a) im Bereich Verstärkung der elektronischen Kommunikation im Verwaltungsverfahren und b) hinsichtlich der Verankerung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahrensrecht, hier vor allem mit Blick auf die Planungsangelegenheiten.

 

Wenn solche Änderungen in Bundesgesetzen durch den Landesgesetzgeber widergespiegelt und umgesetzt werden, ist es nach Ansicht meiner Fraktion Aufgabe des Landesgesetzgebers, also des Thüringer Landtags, sich nochmals kritisch mit den bundesrechtlichen Änderungen auseinanderzusetzen. Zum einen ist dies notwendig für einen verantwortungsvollen Umgang mit den rechtlichen und verwaltungslogistischen Umsetzungsmöglichkeiten auf der Landesebene. Zum anderen ist dies notwendig, um schon im Gesetzgebungsprozess einen möglichst treffenden Überblick zu bekommen, an welchen Punkten der Umsetzung Probleme aufgetreten und gegebenenfalls Nachbesserungen notwendig werden könnten. Ein Ausbau der Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation in dem Verwaltungsverfahren und Behördenangelegenheiten ist sinnvoll. Allerdings sind dabei drei Punkte unverzichtbar.

 

1. Datenschutz und Datensicherheit auf möglichst hohem Niveau. Das muss auch gewährleistet sein bei Zulassung weiterer Verfahren der elektronischen Kommunikation über die schon bestehenden Verfahren der Verwendung der qualifizierten elektronischen Signatur hinaus. Hier ist vor allem auf das Problem der E-Mail zu verweisen. Der Landesdatenschutzbeauftragte hat in seiner Stellungnahme zur Anhörung sehr ausführlich auf dieses Problemfeld hingewiesen. Nun würde es, praktisch gesehen, problematisch sein, Thüringen als freie Insel aus dem Länderverbund auszuklinken. Aber es ist unverantwortlich, und diese Kritik geht an den Innenminister, sich sozusagen fast sklavisch auf eine gar nicht notwendige Simultangesetzgebung der Länder bei diesem Gesetz zu berufen und Datenschutzanforderungen über den Haufen zu fahren. Auch aus diesem Grund hat sich die LINKE-Fraktion zu einem Änderungsantrag zur Beschlussempfehlung entschlossen. In ihm werden die Änderungsforderungen des Landesbeauftragen für Datenschutz aufgegriffen, unter anderem die Forderung, bei Nutzung von sensiblen persönlichen Daten, zum Beispiel aus dem Gesundheitsbereich, das Verfahren der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu nutzen. Unbegreiflicherweise wird die CDU- und SPD-Koalition die Änderungsvorschläge des Datenschutzbeauftragten nicht übernehmen. Nur eine Forderung des Städte- und Gemeindebundes, die den Zugang zu Einwohnerinnen zu elektronischen Dokumenten erschwert, ist in der Beschlussempfehlung als Änderung zu finden. Das zeugt von mangelndem Verständnis, was Informationsfreiheit als Grundrecht angeht. Die Informations-, Nachweis- und Archivfunktion muss zugunsten der Beteiligten, vor allem der Bürgerinnen und Bürger, ebenso gut sein, wie bei den klassischen Papierverfahren. Deutlich wird dies auch an einer Forderung im Zusammenhang mit dem Verfahren der früheren Öffentlichkeitsbeteiligung. Hier verlangen Verbände wie BUND und NABU, aber auch Mehr Demokratie Thüringen, dass die Informationen zum Verfahren im Netz veröffentlicht werden müssen. Auch diese Forderung aus der Anhörung, die leider mit Blick auf das Thema „frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ nur eine schriftliche war - das Online-Forum des Landtags gleicht diese Lücke nicht aus -, greift die LINKE mit ihrem Änderungsantrag auf.

 

Es darf durch die verstärkte Einführung elektronischer Kommunikationsmöglichkeiten im Behördenverkehr keine elektronische Zwei- oder sogar Mehrklassengesellschaft entstehen. Menschen aller Altersgruppen und aller gesellschaftlichen Schichten müssen in gleicher Weise ungehindert mit den Behörden zur Wahrnehmung ihrer Rechte kommunizieren können. Das muss ganz unabhängig davon sein, ob sich diese Menschen den elektronischen Weg leisten wollen oder finanziell und logistisch leisten können. Sind diese Gesichtspunkte berücksichtigt, ist der Ausbau der elektronischen Kommunikation zu befürworten. Die Frage der möglichst frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in Verwaltungsverfahren, vor allem in Planungsverfahren, ist ein wichtiger Schwerpunkt des vorliegenden Gesetzentwurfs. Diese Beteiligung wird um so wichtiger, je aufwendiger das Projekt ist, je größer die Auswirkungen des Projekts auf Umgebung und Umwelt sind, je gesellschaftspolitisch umstrittener das Vorhaben ist. Die Stärkung der Bürgerbeteiligung, besser Einwohnerinnenbeteiligung bzw. frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planungsverfahren und Projektplanungsprozessen wurde in der Vergangenheit, auf Thüringen bezogen, hier im Landtag schon diskutiert. Allerdings nicht so ausführlich hier im Plenum, vielmehr fand im Juni 2012 eine Demokratiefachtagung statt, veranstaltet vom Bündnis Mehr Demokratie in Thüringen, in dem auch DIE LINKE, sowohl die SPD und das BÜNDNIS 90 Mitglieder sind. Dabei wurde auch deutlich, dass die stärkere Einbeziehung der Einwohnerinnen, ihrer Belange und Vorschläge nicht nur bei klassischen Bauvorhaben sinnvoll ist, sondern zum Beispiel auch bei anderen öffentlichen Projekten wie Fragen der Ausgestaltung von Nah- und Fernverkehrsangeboten, Stichworte dazu die Festlegung von Haltepunkten oder Fahrplänen. Es ist insofern zu begrüßen, dass die Regelung zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in § 25 Verwaltungsverfahrensgesetz und dort unter Verfahrensgrundsätzen aufgenommen wurde. Damit wird die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung für alle Verwaltungsverfahren anwendbar und nicht nur im Bereich der Planfeststellung.

 

Allerdings signalisiert der Wortlaut des neuen Absatzes 3 wenig rechtliche Verbindlichkeiten, ich zitiere: „wirkt darauf hin“. Hier muss nach Ansicht der LINKEN-Fraktion, die sich hier mit zahlreich angehörten Organisationen deckt, eine andere Formulierung gewährt werden, die rechtliche Verbindlichkeit des Verfahrens der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung absichert und auch die Pflichten der Vorhabenträger deutlich regelt. Im Änderungsantrag der LINKEN findet sich der entsprechende Vorschlag für die Neugestaltung des § 25, der auch Anregungen des BUND aufgreift. Wichtig ist, dass durch die Änderungen die Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend vor Antragstellung durch den Vorhabenträger stattfinden muss. Nur dann macht eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne der Rechte und Interessenwahrung der Einwohnerinnen wirklich Sinn. Es geht darum, dass betroffene, interessierte und engagierte Einwohnerinnen und Bürgerinitiativen so früh wie möglich mit ihren Anliegen, Vorschlägen usw. Einfluss nehmen können auf den Planungs- und Entscheidungsprozess. Weitere Details zum Verfahren sind dann in einer Verordnung, die der Zustimmung des zuständigen Fachausschusses des Landtags bedarf, zu regeln. Diese Rückbindung der Verordnung an das Parlament dient der demokratischen Kontrolle des Inhalts und der Ausgestaltung und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Durch die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung hat, wenn man sie ernst nimmt, eine durchaus schon gestalterische Funktion, auch ausgeübt von der einbezogenen Öffentlichkeit durch ihre Einschätzungen und Vorschläge. Das geht über bloße Beratung und Auskunft deutlich hinaus. In diesem Zusammenhang sei auch auf die in der ersten Lesung zum Bundesgesetz im Bundestag geäußerten Kritik aus der Linken-Fraktion verwiesen. Mit Ihrer Genehmigung zitiere ich aus der Rede meiner Kollegin Sabine Leidig: „Sie nehmen die Anliegen und die konkreten Erfahrungen der Bürgerbeteiligung gar nicht ernst, sondern Sie wollen lediglich etwas früher um Akzeptanz werben, damit die Großprojekte, die Sie vorgeben, möglichst ungestört und beschleunigt umgesetzt werden können.“ Diese Kritik stimmt als Grundsatzkritik immer noch, obwohl es nach dieser ersten Lesung am Gesetzentwurf auf Bundesebene noch Änderungen gab. Das heißt aber auch, wie schon mit Blick auf Änderungsbedarf beim Punkt elektronische Kommunikation gilt auch für die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung. Wenn die vom Bund bzw. anderen Ländern vertretenen Regelungen, nach dem die Ergebnisse der Ausschussberatung, insbesondere der Anhörung, Mängel aufweisen, da muss der Landesgesetzgeber sich für die inhaltliche bessere Regelung und gegen die sogenannte Simultangesetzgebung entscheiden, zumal der Innenminister zugibt, dass der Landesgesetzgeber diese Gestaltungsfreiheit hat.

 

Zum Schluss noch folgende kritischen Gedanken, um das Verfahren der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung auch in den Gesamtzusammenhang der demokratischen Beteiligungsinstrumente insgesamt zu stellen. So sinnvoll für sich genommen, einen frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ist, trifft auch zu: Diese Öffentlichkeitsbeteiligung darf als Instrument nicht dazu missbraucht werden, um wirkliche Mitentscheidungsmöglichkeiten der Menschen bei Projekten, vor allem großen Bauprojekten, als überflüssig hinzustellen. Nach Ansicht meiner Fraktion gilt daher, eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung kann und darf kein Ersatz für direkte demokratische Mitbestimmungsverfahren sein. Um bei solchen Projekten Anwendung zu finden, müssen aber die derzeitigen Regelungen zur direkten Demokratie reformiert werden. So zum Beispiel, eine Abschaffung des sogenannten Finanztabus bei Volksbegehren ist notwendig. Das Bahnhofsmonsterprojekt Stuttgart 21 wird mit Recht als gesellschaftspolitischer Auslöser für die Bundes- und Ländergesetzgebung zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung benannt. Baden-Württemberg ist daher bei der Umsetzung und Ausgestaltung am aktivsten. bis hin zur Erstellung eines neuen Planungsleitfadens. Daran sollte sich Thüringen orientieren.

 

Bei Stuttgart 21 hatte es keine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung gegeben und der Volksentscheid wurde leider nicht in der Planungsphase abgehalten, sondern erst zu einem sogenannten Ausstiegsgesetz. Viel zu spät für wirkliche Mitentscheidung der Einwohnerinnen über das Projekt. Die spannende Frage ist daher, ob es je zu Stuttgart 21 gekommen wäre, wenn über dieses Großprojekt und Milliardengrab in der Planungsphase auf direktem demokratischem Weg entschieden worden wäre.

 

Auch in Thüringen gibt es solche Beispiele für in Ihrem Sinne mehr als fragwürdige und damit hoch umstrittene Projekte. Ein Stichwort ist hier die 380-kV-Leitung durch den Thüringer Wald. Es gibt aber sichtlich bei intensiver Betrachtung noch manches Projekt, genauer genannt Bauprojekt, in Thüringen, das mit einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung oder noch besserer direkt demokratischer Entscheidung eine sinnvolle Lösung gefunden hätte. Insofern kann eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zu mehr Akzeptanz für Projekte bei den Einwohnerinnen führen. Wichtig dabei ist jedoch, dass sie die Erfahrungen machen, in dieser frühen Öffentlichkeitsbeteiligung auch wirklich ernst genommen zu werden mit ihren auch kritischen Einschätzungen, ihren Vorschlägen und es so tatsächlich die Möglichkeit gibt, konkrete Veränderungen bei Projekten zu erwirken. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

 

(Beifall DIE LINKE)

Dateien